Private Asylheime als umstrittenes Geschäftsmodell


"A-B-C-D-E-F-G" - die Stimmen von acht jungen Burschen schallen durch das Untergeschoß. Hinter der Tür mit dem bunten Schild "Deutschkurs" singen die jungen Afghanen das Kinderlied im Chor. Die Deutschlehrerin hält ihr Mobiltelefon, auf dem die Melodie abgespielt wird, in die Luft. Hinter ihr auf dem Flipchart stehen vereinzelt deutsche Vokabeln. Gemeinsam mit einem großen Tisch und Sessel bildet es die einzige Möblierung in dem kleinen Raum.

Es ist eben noch nicht alles fertig eingerichtet in der Keplerstraße 77 in Graz. In der Nähe des Hauptbahnhofs eröffnete Anfang Februar das zweite private Asylheim der Stadt, das dem lokalen Gastronomen Amir Demiri gehört. Bereits 31 Burschen zwischen 13 und 17 Jahren aus Afghanistan haben Quartier in dem blassrosa Altbau direkt an der stark befahrenen Straße bezogen. Die meisten von ihnen wurden vom Erstaufnahmezentrum Traiskirchen in Niederösterreich in die steirische Landeshauptstadt geschickt.

Kritik von NGOs

Doch obwohl das Flüchtlingsreferat des Landes Steiermark die Einrichtung regelmäßig prüft, zeigen sich NGOs skeptisch. Auch Heinz Fronek von der Asylkoordination hält die Entwicklung hin zu "gewinnorientierten Betreibern" für "nicht günstig". Der Tagessatz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge liegt derzeit zwischen 35 und 70 Euro pro Person. "Bei dem Betrag ist es sogar für große Organisationen schwierig, alle Kosten zu decken", sagt Fronek. Zwar war er selbst noch nicht in einem der privaten Asylheime in Graz, doch ist es für ihn klar, dass die Betreiber bei den Kosten für Personal und Bildungsangebote sparen müssen, um am Ende des Monats Gewinn einzufahren.

Im hellen Büro in der Keplerstraße schüttelt der Leiter des Hauses, Shqipri Hajrizi, darüber den Kopf. Der gebürtige Kosovare mit dem jugendlichen Gesicht sitzt in Jeans und Hemd an seinem Schreibtisch und kann nicht verstehen, wieso man ihm und seinem zwölfköpfigen Team die Betreuung der Jugendlichen nicht zutraut. Nahezu alle Angestellten sind SozialpädagogInnen oder arbeiteten bereits in der Vergangenheit im Sozialbereich. "Gehen Sie durch, machen Sie sich ein Bild von unserem Haus. Dann werden Sie sehen, dass es den Jungs gut geht", sagt der Leiter.

Finanziert durch das Land Steiermark

Als Hajrizi durch das dreistöckige Gebäude führt, klopft er an jede Tür, bevor er sie öffnet. Die Zimmer des ehemaligen Studentenheims der Wirtschaftshilfe für Studierende Steiermark (WIST) wurden für die neuen Bewohner teilweise neu eingerichtet. Maximal zu viert wohnen die jungen Asylwerber darin. Schwarze Betten mit bunten Überzügen, weiße Wände und heller Parkettboden lassen die Räume freundlich erscheinen. Im Hintergrund läuft meistens der Fernseher: afghanisches Programm in der Fremde.

Das Geld für das Projekt kommt vom Land Steiermark. Für die Unterbringung und Versorgung der minderjährigen Flüchtlinge erhält der Hausbesitzer Demiri 50 Euro netto pro Asylwerber und Tag. Das sind in einem Monat mit 30 Tagen und 31 Asylwerbern 46.500 Euro. Damit werden laut Hajrizi die Gehälter des Personals bezahlt sowie Lebensmittel, Kleidung und Hygieneartikel gekauft. Außerdem erhalten die jungen Afghanen 140 Euro Taschengeld pro Monat, das zweiwöchentlich ausbezahlt wird. Freizeitaktivitäten wie Kinobesuche, Billardspielen und Fahrkarten für Besuche in der Innenstadt würden auch durch die Subventionen finanziert werden. "Das geht sich dann genau aus", sagt Hajrizi.

Private Asylheime haben lange Tradition

Das System von privaten Unterkünften für Flüchtlinge hat laut Herbert Langthaler von der Asylkoordination bereits lange Tradition. Bevor 2004 die Grundversorgungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern beschlossen wurde, seien zwei Drittel aller Asylwerber obdachlos gewesen. Das restliche Drittel sei in Notquartieren oder Tourismusbetrieben, die sich bereits auf dem absteigenden Ast befanden, untergebracht worden. Nach Schätzungen der Asylkoordination soll es in ganz Österreich etwa 800 private Unterkünfte geben. Darin enthalten sind allerdings auch Wohnungen und Häuser, die von NGOs genützt werden. "Das ist aber eine geringe Zahl", sagt Fronek.

Die Obsorge für die minderjährigen Asylwerber hat das Jugendamt inne. Laut Vasiliki Argyropoulos vom Amt für Jugend und Familie der Stadt Graz hat es noch nie Probleme mit den Bewohnern gegeben. Regelmäßige Überprüfungen durch das Jugendamt gibt es allerdings nicht: "Prinzipiell verlassen wir uns auf das Urteil des Landesflüchtlingsreferats, das auch Verträge mit den privaten Einrichtungen hat. Trotzdem waren wir einmal vor Ort am Lendplatz", sagt Argyropoulos.

Landesflüchtlingsreferat prüft regelmäßig

Dort habe man sich die Tagesstruktur, Kursprogramme und das Personal vorstellen lassen und "keine Einwände" gehabt. Es gebe auch keine Anrainerbeschwerden. Sollte es allerdings eine Gefährdungsmeldung geben, würde man natürlich im Rahmen der Möglichkeiten des Jugendamts tätig werden.

Die Überprüfungen werden vom Landesflüchtlingsreferat "mindestens alle fünf bis sechs Wochen durchgeführt", sagt dessen Sprecher Heinrich Fischer. Der Bedarf an privaten Asylheimen habe sich dadurch ergeben, dass es zu wenige Einrichtungen von Organisationen gebe, um den Verpflichtungen der Grundversorgungsvereinbarung nachzukommen. Die Länder verpflichteten sich darin, einen gewissen Prozentsatz an Flüchtlingen, die nach Österreich kommen, aufzunehmen.

Für Hajrizi ist seine Tätigkeit allerdings nicht nur reine Pflichterfüllung. Er kam selbst mit 18 Jahren aus dem Kosovo nach Österreich und wollte hier studieren. "Damals hatte ich niemanden, der mir geholfen hat", sagt er. Zwar habe er ebenfalls in einem privaten Asylheim gelebt, seine schulische Ausbildung und seine Nebenjobs habe er sich aber selbst erkämpfen müssen: "Ich möchte den jungen Flüchtlingen etwas von meinen Erfahrungen von damals weitergeben. Damit sie es vielleicht etwas einfacher als ich haben."

Außerdem möchte er ihnen westliche Werte und Vorstellungen vermitteln: "Die meisten Burschen kommen mit der Vorstellung nach Österreich, dass hier Milch und Honig fließen. Man muss ihnen zeigen, dass das nicht so ist und dass sie sich integrieren müssen - ohne dabei ihre Kultur aufzugeben." In diesem Punkt gibt es keinen Unterschied zwischen privaten und NGO-Asylheimen.
derstandard.at 
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