Junge Asylbewerber trafen sich mit Politikern


Der 17-jährige Afghane Ali lebt seit neun Monaten in Deutschland – als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling. Wo seine Familie ist, weiß er nicht. Jetzt lebt er zusammen mit anderen minderjährigen Flüchtlingen in einer diakonischen Einrichtung. Jetzt konnte er seine Geschichte mit Politikern diskutieren.
Ali will sein Leben neu aufbauen, eine Ausbildung machen, und irgendwann – wenn in seiner Heimat wieder Frieden herrscht – beim Wiederaufbau helfen. Vielleicht als Ingenieur. Doch in dem Land, das ihn aufgenommen hat, fühlt er sich als "Bettler", wie er sagt. "Ich habe in dieser langen Zeit nur drei Monate lang einen Sprachkurs gemacht", so Ali. "Dabei möchte ich doch so gerne vorankommen."

Ali gehört zu elf jugendlichen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, die sich auf Anregung des Jugendmigrationsdienstes (JMD) der Gemeindediakonie zu einer Gesprächsrunde mit sechs Politikerinnen und Politikern sowie Flüchtlingsbeauftragten getroffen haben. Im Ansverus-Haus in Eichholz saßen die Landtagsabgeordneten Gerrit Koch (FDP), Serpil Midyatli (SPD) sowie Heinz-Werner Jezewski und Seyran Papo von den Linken, außerdem deren Fraktionsvorsitzende Antje Jansen, zugleich wie ihre Kollegin Heidi Näpflein (Bündnis 90 / Die Grünen) Lübecker Bürgerschaftsabgeordnete. Auch der ehemalige "Cap Anamur"-Kapitän Stefan Schmidt, inzwischen Beauftragter für Flüchtlinge, Asyl und Zuwanderer im Kieler Landtag, war gekommen.

"Wir haben die Gesprächsrunde organisiert, weil uns Politiker gesagt haben, sie wüssten zu wenig über die Lebensbedingungen der jungen Flüchtlinge", erzählt Cornelia Bauke vom JMD. "Die Idee war, das die Jugendlichen aus erster Hand von sich und ihrem Alltag erzählen." Eine Mitarbeiterin der Gemeindediakonie, gebürtige Afghanin, dolmetschte die Aussagen ihrer jungen Landsleute.

So auch die von Soheila (18), die gemeinsam mit ihrer ein Jahr jüngeren Schwester zur Gesprächsrunde gekommen war. Beide werden von Cornelia Bauke beraten und begleitet. Seit rund anderthalb Jahren lebt die Familie in Deutschland. "Ich möchte meinen Hauptschulabschluss und danach gerne meinen Realschulabschluss machen", sagt die junge Frau. Sie träumt von einer beruflichen Zukunft bei Lufthansa. Jetzt macht sie ein Ausbildungsvorbereitendes Jahr (AVJ). Doch bis es so weit war, musste Cornelia Bauke für ihre Klientin kämpfen: Zunächst war keine Schule in Lübeck bereit, Soheila aufzunehmen.

Eine leider alltägliche Erfahrung für die Mitarbeitenden des JMD. "Sobald die Jugendlichen über 16 sind, ist keine Regelschule mehr zuständig", so Cornelia Bauke, "obwohl die Betroffenen bis 18 schulpflichtig sind. Auch die Berufsschulen lehnten in diesem Fall wegen der fehlenden Deutschkenntnisse ab." In der Lutherschule durfte die junge Afghanin schließlich immerhin am Deutsch- und Mathe-Unterricht teilnehmen. Danach nahm sie auf Initiative des JMD an einer Maßnahme der Dorothea-Schlözer-Schule teil.

"Es ist sehr schwer für die jungen Flüchtlinge, die hier ohne Papiere und Schulzeugnisse ankommen", weiß Cornelia Bauke. "So lange das Asylbewerberverfahren läuft, steht ihnen nicht mal ein Deutschkurs zu." Oft könnten die jungen Asylsuchenden innerhalb des ersten Jahres einen Sprachkurs nur dank Spenden und ehrenamtlichem Engagement besuchen. "Die jungen Leute scharren bei uns mit den Hufen", sagt Baukes Kollege Wolfgang Cramer. "Es sind Leute, die wir brauchen, die weiterkommen wollen. Aber die Gesetze bremsen sie aus." Erst nach Ablauf des Asylverfahrens dürften die Jugendlichen eine Ausbildung beginnen. Dies kann bis zu drei Jahren dauern.

Dass die Wartezeit für die Jugendlichen viel zu lang ist, darüber waren sich auch die Politiker einig, die aufmerksam zuhörten. "Wir möchten, dass Migranten hier leben, aber haben Gesetze, die das verhindern", sagte Antje Jansen. Unverständnis auch bei Serpil Midyatli: "Es ist nicht begreiflich, dass nicht in die jungen Leute investiert wird. Die Hindernisse sind im System, die Leute sollen davon abgehalten werden, ins Land zu kommen", glaubt die Politikerin. Etwas milder war der Blick von Gerrit Koch: "Unser Land steht zu seiner im Grundgesetz verankerten humanistischen Überzeugung – wenn Menschen in Not sind, müssen wir ihnen helfen." Dies bezeichnete Stefan Schmidt als "Idealvorstellung".

Der JMD freut sich über Spenden und ehrenamtliche Mitarbeit, zum Beispiel als Lotse für junge Migranten. Kontakt: Cornelia Bauke, Telefon             0451/613201-13      bauke@gemeindediakonie-luebeck.de; Internet: www.gemeindediakonie-luebeck.de, Einrichtungen

Ausstellung „anders? – cool!" ging zu Ende

Mairi und Katja erforschten am großen Globus ferne Länder.

Die Gesprächsrunde gehörte zum Rahmenprogramm der Wanderausstellung „anders? - cool!". Die multimediale und interaktive Schau der Jugendmigrationsdienste beschäftigt sich mit den Lebenswelten junger Migrantinnen und Migranten. Sie war vom 7. bis 16. Februar in der Grund- und Regionalschule Anna Siemsen / Johannes Kepler in Lübeck-Eichholz zu sehen. Veranstalter waren der Jugendmigrationsdienst der Gemeindediakonie Lübeck und das Stadtteilnetzwerk Eichholz aktiv!. Rund 800 Menschen, darunter zahlreiche Schülergruppen, haben die Ausstellung besucht. Zu den weiteren Veranstaltungen im Stadtteil gehörten unter anderem ein „Multi-Kulti"-Malatelier im Ansverus-Haus, ein türkischer Kochkurs im Jugendzentrum „JUZE" und weitere Kreativangebote. Die Schülerinnen und Schüler haben das Thema der Ausstellung im Projektunterricht bearbeitet. Die Arbeitsergebnisse werden am Tag der Offenen Tür am 3. März an beiden Standorten der Schule gezeigt.

Die elf Jugendlichen konnten ihre Probleme mit den Politikern diskutieren. Fotos: Lutz Roeßler/Gemeindediakonie
Die elf Jugendlichen konnten ihre Probleme mit den Politikern diskutieren. Fotos: Lutz Roeßler/Gemeindediakonie

Text-Nummer: 75070   Autor: Oda Rose-Oertel   vom 22.02.2012 11.52

Kommentare zu diesem Text:

Olaf König schrieb am 22.02.2012 um 14.33 Uhr:
Was mich wirklich aufregt, ist das Diejenigen welche sich Integrieren nicht Wissen ob sie bleiben dürfen bzw. werden wieder ausgewiesen und andere die in 3.!!! Generation hier sind und nichteinmal gewillt sind die Sprache zu lernen bleiben dürfen. Das ist nur noch makaber. Denn wenn Jemand seinem Kind verbietet Deutsch zu sprechen hat hier nichts mehr zu suchen.
Kurz: deutsche Sprache - deutscher Pass

Bernd Schuster schrieb am 22.02.2012 um 16.35 Uhr:
Bitte noch so einen Kommentar Herr König. Ich liebe Eigentore. Haben Sie Ihren deutschen Pass schon abgegeben?


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