Bremen. Krieg, Verfolgung, Verletzung der Menschenrechte – es gibt viele Gründe dafür; sein Land zu verlassen und als Flüchtling eine neue Heimat zu suchen. Nicht selten sind es auch Minderjährige, die ohne Eltern fliehen müssen. "Momentan betreut das Jugendamt in Bremen 87 minderjährige Flüchtlinge, die ohne erwachsene Begleitung nach Deutschland gekommen sind", sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. 19 der Flüchtlinge stammen danach aus Guinea, 18 aus Afghanistan und zehn kommen aus Gambia. Insgesamt sind in der Stadt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus 33 verschiedenen Ländern vertreten.
Einer von ihnen ist Hadi Abasi. Der 20-Jährige ist im Alter von 17 Jahren ohne Familie aus seinem Heimatland Afghanistan geflohen: "Ich hatte richtige Angst, dort zu bleiben", erzählt er. In Deutschland angekommen, meldete er sich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Mitarbeiter der Behörde und der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen nehmen die Personalien der Jugendlichen auf. In Fällen, bei denen die Altersangaben zweifelhaft sind, kommt es zusätzlich zu einer Alterseinschätzung. "Ich hatte keine Papiere und man hat mir nicht geglaubt, dass ich 17 war", erzählt Abasi. "Man hat Abdrücke von meinen Zähnen genommen, Röntgenaufnahmen gemacht und dann gesagt, ich sei schon volljährig."
So wie Hadi Abasi ergeht es vielen jungen Flüchtlingen. Oft fehlen die notwendigen Unterlagen, und vor der Flucht besteht selten die Möglichkeit, sie noch zu besorgen. Nach Angaben des Bundesfachverbandes für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden je nach Bundesland 30 bis 80 Prozent der nach eigener Aussage unter 18-jährigen für volljährig erklärt, wenn die benötigten Papiere fehlen.
Nach seiner Ankunft in Bremen ist Hadi Abasi in einem Flüchtlingsheim für Erwachsene und Familien untergebracht worden. Bestätigen die Behörden die Minderjährigkeit, nimmt das Jugendamt die Flüchtlinge in ihre Obhut und sucht eine Bleibe für sie. Nach Angaben des Bremer Behördensprechers werden weibliche Flüchtlinge meist in Mädchenhäusern oder Pflegefamilien einquartiert, für Jungen gibt es spezielle Einrichtungen, unter anderem eine Jugendhilfeeinrichtung des Arbeiter-Samariter-Bundes.
Neben der Unterkunft stellt das Jugendamt den minderjährigen Flüchtlingen auch einen Amtsvormund, der ihnen bei weiteren Planungen hilft und gegebenenfalls den Asylantrag stellt. Da sich die Amtsvormünder um viele Fälle kümmern und wenig Zeit haben, gibt es in Bremen zahlreiche Organisationen, die nach privaten Mentoren und Vormündern suchen.
Eine von ihnen ist Angela Kehlenbeck. Die freischaffende Illustratorin ist durch einen Zeitungsartikel auf das Thema aufmerksam geworden und seit über eineinhalb Jahren die Mentorin von Hadi Abasi. "Wir haben zusammen Deutsch gelernt, und ich habe ihm bei der Wohnungssuche geholfen", erzählt die Bremerin. "Außerdem haben wir uns gemeinsam durch Hadis Hausaufgaben für die Berufsschule gequält".
Als Volljähriger hatte Hadi Abasi keinen Anspruch darauf, an einer normalen Schule untergebracht zu werden. In solchen Fällen oder wenn die minderjährigen Flüchtlinge aufgrund zu geringer Vorbildung nicht in eine Regelschule integriert werden können, können sie die Allgemeine Berufsschule Bremen besuchen. Dort begleiten Fachkräfte die Jugendlichen in Sprachförderkursen und Berufswahlorientierungen.
Hadi Abasi hat die Allgemeine Berufsschule besucht und dort seinen erweiterten Hauptschulabschluss nachgeholt. Bald beginnt der 20-Jährige eine Ausbildung zum Metalltechniker. "Ich freue mich natürlich, aber eigentlich würde ich lieber Koch werden", erzählt er. Hadi Abasi lebt mit einer sogenannten Aufenthaltsgestattung in Bremen, was die Chancen auf einen Arbeitsplatz stark eingrenzt.
Der Asylantrag, den er nach seiner Ankunft in Deutschland gestellt hat, wurde abgelehnt. Seine Rechtsanwältin legte jedoch Widerspruch ein, sodass der Antrag weiterhin bearbeitet wird. Bis zum Ende der Ausbildung wird der 20-Jährige auf jeden Fall bleiben dürfen. Mittlerweile hat er auch eine eigene Wohnung. Seit März 2011 dürfen Bremer Asylbewerber die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen, sobald sie mindestens zwölf Monate dort gelebt haben und volljährig sind.
Bundesweit wurden 2011 mehr als 3700 neue unbegleitete minderjährige Flüchtlinge registriert und aktuelle Zahlen zeigen, dass die Tendenz steigt. 33 der in Bremen lebenden Flüchtlinge unter 18 sind erst in diesem Jahr hier angekommen.
Jugendliche auf der Flucht
In Bremen leben 87 minderjährige Mädchen und Jungen aus 33 Ländern – mit ungewisser Zukunft