Gross-zimmern - Seit Februar wohnen im ehemaligen evangelischen Pfarrhaus in der Lebrechtstraße unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMFs). Am Samstag waren die Nachbarn des Hauses zum Tag der offenen Tür eingeladen. Von Ulrike Bernauer
„Ich kenne das Haus von Kindesbeinen, ich habe hier Konfirmandenunterricht gehabt, ich habe die Hochzeit meiner Schwester hier gefeiert“, sagt Marianne Habedank, „ich kenne das Haus vom Keller bis zum Dach“. Mit der neuen Nutzung des Lebrechthauses, des ehemaligen evangelischen Pfarrhauses in Groß-Zimmern, ist Habedank sehr zufrieden. „Es war ja mal im Gespräch, dass hier ein Kindergarten hinein soll, aber das wäre nichts gewesen, so ist das Haus viel besser genutzt“, sagt Karl-Heinz Habedank, der mit seiner Frau in der Nachbarschaft wohnt.
Elf Jugendliche aus mehreren Nationen – aus Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, Kenia, Somalia und Sri-Lanka – haben hier ihre Unterkunft gefunden, das Haus, das zuletzt die evangelische Regionalverwaltung beherbergte, ist eine Außenstelle des St. Josephhauses, der Jugendhilfeeinrichtung in Klein-Zimmern. Die platzt mittlerweile aus allen Nähten und deshalb betrachtet es Frank Wiedenmann, Gruppenleiter der elf Jugendlichen, als Glücksfall, das Haus gefunden zu haben.
„Der Bedarf im Landkreis an Unterbringungsmöglichkeiten für Jugendliche aus fernen Ländern ist hoch und er wird wahrscheinlich noch steigen und wo findet man schon ein Haus mit mindestens 14 Zimmern“. Denn nicht nur die Jugendlichen benötigen jeder ein Zimmer, auch ein Wohnzimmer, ein Esszimmer und ein Zimmer für die Betreuer sowie sanitäre Anlagen und eine Küche müssen Platz in dem Haus finden.
Wiedenmann freut sich über das ökumenische Haus. „Wir haben es von der evangelischen Kirche gemietet, wir selbst sind eine katholische Einrichtung und die untergebrachten Jugendlichen sind Katholiken, Orthodoxe oder Muslime“.
Die sechs Mädchen und fünf Jungs im Alter von 13 bis 18 Jahren, die in Groß-Zimmern Unterkunft gefunden haben, haben meist schreckliche Erfahrungen hinter sich. „Wenn es gut gelaufen ist, haben sie nur gesehen, wie ihre Familie abgeholt wurde und auf Nimmerwiedersehen verschwand, wenn es härter war, wurden sie selbst vergewaltigt oder sahen, wie Angehörige vom Flüchtlingsboot aus ins Meer geworfen wurden“, sagt Wiedenmann.
Deshalb haben viele der Jugendlichen erst einmal Angst, wenn sie angekommen sind. Dazu kommt noch die Sprachbarriere, am Anfang unterhalten sich die Flüchtlinge mit Händen und Füßen oder auf Englisch mit ihren Betreuern. Bevor sie also eine Schule besuchen können, müssen sie erst einmal Deutsch lernen. Das St. Josephshaus gibt den Jugendlichen den geschützten Rahmen, in dem sie sich auch an die für sie völlig fremde Kultur gewöhnen können. „Dennoch darf man ihnen aus Mitleid nicht alles durchgehen lassen, sie müssen Regeln und Pflichten einhalten“.
Hoch motiviert sind die jungen Flüchtlinge, so haben bis jetzt alle einen Schulabschluss erreicht, trotz der anfänglichen Sprachhindernisse. Aktuell hat einer der Jungen seinen Realschulabschluss geschafft, nun besucht er weiter die Alfred-Delp-Schule und bereitet sich auf das Abitur vor. „Er ist 18 Jahre und könnte eigentlich bei uns ausziehen, aber sein Asylantrag ist noch nicht entschieden“.
Unbegleitete Flüchtlingskinder erhalten nach Wiedenmanns Erfahrung im Landkreis allerdings fast immer Aufenthaltsrecht.
5,5 Stellen gibt es für die Betreuung der elf Jugendlichen, schließlich muss eine 24-Stundenbetreuung gewährleistet sein. Faszinierend findet Wiedenmann, wie sie trotz ihrer schrecklichen Erfahrungen das Lachen wieder lernen.
Probleme haben die Jugendlichen in ihrer ersten Zeit auch mit dem ganz anderen Kulturkreis. „In ihrer Heimat sind die Mädchen meist wenig bis gar nichts wert, hier stellen sie sich erstmal ganz selbstverständlich in die Küche“. Wiedenmann ist allerdings zuversichtlich, dass die Jugendlichen in Deutschland ihren Weg finden werden. „Zurück will keiner, denn sie rechnen alle damit, dass sie in ihrem Heimatland nichts Gutes erwartet“.
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