Mutterseelenallein


Yahya und Feiz sind Kinder, 13 und 14 Jahre jung, und schlagen sich alleine von Afghanistan nach Schweden durch. In Bayern hat sie die Bundespolizei aufgegriffen - kein seltener Fall: Immer häufiger müssen sich Behörden um jugendliche unbegleitete Flüchtlinge kümmern.

Die Fahndung nach Yahya und Feiz lief knapp eine Woche. Jetzt kam die Nachricht, dass sie über alle Berge sind, in einem anderen Land. Im Rosenheimer Polizeipräsidium ist man froh darüber - obwohl die beiden nun unerreichbar für die bayerischen Gesetzeshüter sind. Denn Yahya und Feiz sind keine ausgewachsenen Schwerkriminellen. Sie sind Kinder, 13 und 14 Jahre alt, die mutterseelenallein den Weg von Afghanistan nach Schweden unternommen haben.
Die Fahndung nach ihnen lief, weil sie in Bayern von der Bundespolizei aufgegriffen wurden, aber bald weiterflohen. Sie sind nur zwei von etwa 4500 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die pro Jahr nach Deutschland kommen. ImLandkreis Rosenheim verzeichnet man so viele Aufgriffe wie noch nie.
31 Flüchtlinge unter 16 Jahren, die ohne Begleitung ihrer Eltern unterwegs waren, sind im Jahr 2011 im Landkreis Rosenheim aufgetaucht, eine Rekordzahl. Seit dem Krieg in Kosovo, Ende der 1990er Jahre, kennen die Verantwortlichen im Landkreis das traurige Phänomen der minderjährigen Flüchtlinge. Das Kreisjugendamt nimmt sie in Obhut, kümmert sich um sie. Fünf bis zehn Kinder waren dies pro Jahr, seit 2009 aber steigen die Zahlen sprunghaft an. Vor allem aus Afghanistan, Irak und Iran kommen diese Kinder derzeit auf der Fluchtroute über die Türkei, Griechenland, die Balkanstaaten oder Italien in das grenznahe Gebiet rund um Rosenheim, oft auf Durchreise, oft mit Schleppern. Hier greift dann von Fall zu Fall die Schleierfahndung der Bundespolizei.
Yahya und Feiz wurden von den Beamten im Zug in Garmisch bei der Einreise entdeckt. Das Jugendamt fand für die jungen Afghanen, die äußerlich älter wirken, ein Wohnheim in Ruhpolding. Dort ruhten sie sich einige Wochen von den Fluchtstrapazen aus, dann verschwanden sie. Ihre Betreuer fanden ihre Fahrräder später am Traunsteiner Bahnhof.
Die Flucht per Zug Richtung Norden muss glattgegangen sein. Per Facebook posteten Yahya und Feiz vor wenigen Tagen, dass sie gut im Malmö, Schweden, angekommen seien. Dort haben sie Verwandte. "Wir sind froh, dass ihnen nichts passiert ist", sagt Stefan Sonntag vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd, das die Vermisstenmeldung herausgegeben hatte, "es sind ja Kinder, hier muss man eine humanitäre Lösung finden."
Der Rosenheimer Landrat Josef Neiderhell bekannte sich im Jugendhilfeausschuss in der vergangenen Woche zu seiner großen Sorge um diese minderjährigen Flüchtlinge: "Es geht allein um ihr Wohl. Nach ihren Erfahrungen durch die Reise brauchen sie Hilfe und Betreuung durch uns." Die deutliche Zunahme bei den Aufgriffen in seinem Landkreis sieht der CSU-Politiker nicht als kurzfristige Erscheinung. "Die Aufgabe bleibt uns", meint er.
Erwartungen, die mit den Zahlen seiner Parteikollegin Christine Haderthauer übereinstimmen. Auch die Sozialministerin rechnet aufgrund der Situation in Afghanistan und Irak mit zusätzlichem Betreuungsbedarf für Flüchtlinge. So erwartet sie in diesem Jahr bis zu 8700 neue Asylbewerber in Bayern.
Das Schicksal der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, für die im Expertengebrauch routiniert die Abkürzung UMF gebraucht wird, betrifft Bayern stark. Da die Zimmer für die Unterbringung schon jetzt nicht mehr reichen, fordert Neiderhell die Einrichtung einer sogenannten Clearingstelle, in der neun bis zwölf Kinder untergebracht und intensiv betreut werden können, mit Hilfe von Dolmetschern und Pädagogen. Gerade minderjährige Flüchtlinge haben oft traumatische Erlebnisse während ihrer Flucht gehabt, die sie alleine nicht verarbeiten können. Das Katholische Jugendsozialwerk geht außerdem davon aus, dass vier bis fünf Prozent der sogenannten UMFs Kindersoldaten waren und unter psychischen Störungen leiden.
Greifen die Polizisten Jugendliche im Landkreis Rosenheim auf, bringen sie sie, oft nachts, in das Caritas Kinderdorf Irschenberg. Dorfleiter Wolfgang Hodbod berichtet, dass die Kinder erst einmal froh seien, ein Dach über dem Kopf zu haben. "Kommen sie dann aber zur Ruhe, haben sie furchtbare Angst um ihre Familien, die sie zu Hause gelassen haben." Ganze Dorfgemeinschaften oder Großfamilien schickten diese Kinder los - um sie in Sicherheit zu bringen oder um aus dem Ausland irgendwann Unterstützung von ihnen zu bekommen. "Es sind durchtrainierte Jugendliche, die zu uns kommen. Sie wirken viel älter als gleichaltrige Deutsche, weil sie zu Hause schon so viel mitgemacht haben", sagt Hodbod. Vier äthiopische und vier afghanische Kinder, die alleine nach Deutschland geflüchtet sind, leben derzeit im Dorf am Irschenberg. Die Betreuer versuchen, ihre Familien zu kontaktieren, suchen nach Verwandten in Europa.
Manche Kinder, die feste Reiseziele zu Verwandten in Skandinavien oder Großbritannien haben, verschwinden dann aber auch nach einiger Zeit wieder. So wie Yahya und Feiz.

sueddeutsche.de

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