Als Orhan aus dem Irak nach Deutschland flüchten musste, war er zwölf Jahre alt. Er staunte über die Sprache der Deutschen, die in seinen Ohren komisch klang, und er wunderte sich, wenn sich diese Menschen in ihrer merkwürdigen Sprache gar mit ihren Hunden unterhielten. Das war ihm fremd, wie die U-Bahnen auch, vor denen er Angst hatte, weil sie unter der Erde fahren. Orhan ist einer von 571.700 Flüchtlingen, die zurzeit in Deutschland leben; in keinem anderen Industrieland leben mehr. Heute, mit 18 Jahren, fühlt sich Orhan in Deutschland zu Hause.
Auch Minh aus Vietnam hat sich eingelebt in dem Land, das ihm einst Asyl gewährte. Inzwischen engagiert sich der 21-Jährige bei der Freiwilligen Feuerwehr. Ilirjan aus dem Kosovo, der mit 15 Jahren nach Deutschland kam, absolvierte erst ein Praktikum bei einer Firma, wurde übernommen und machte schließlich an der Universität den Master-Abschluss. Für den 27-Jährigen bedeutete die neue Heimat in erster Linie Frieden, und dass es "schön" dort ist. Die Realität kollidierte jedoch mit seinen naiven Vorstellungen, wie er in dem Film"Angekommen - we have arrived" erzählt, den das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gemeinsam mit dem Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V. gedreht hat.
Wie Orhan, Minh und Ilirjan ergeht es vielen Flüchtlingen. Sie müssen ihre Heimat verlassen, sich in einem anderen Land einleben, einer fremden Kultur annähern. Dem UNHCR-Jahresbericht zufolge mussten im vergangenen Jahr mehr als 800.000 Menschen aus ihrem Heimatland fliehen - diese Zahl von Flüchtlingen erreicht damit seit 2000 einen Höchststand. Insgesamt waren 4,3 Millionen Menschen im Jahr 2011 neu von Vertreibung und Flucht betroffen, viele von ihnen aber innerhalb ihres Heimatlandes.
Die massiven Krisen des letzten Jahres wie in Elfenbeinküste, Libyen, Somalia undSyrien sind nach Angaben des Uno-Flüchtlingskommissariats die Ursache dafür. "Das Jahr 2011 war geprägt von Leid epischen Ausmaßes. Innerhalb kürzester Zeit mussten in den Konflikten sehr viele Menschen einen hohen persönlichen Preis zahlen", so Uno-Flüchtlingskommissar António Guterres. "Wir können nur dankbar dafür sein, dass das internationale Schutzsystem in den meisten Fällen funktionierte und die Grenzen für Flüchtlinge offen gehalten wurden. Die aktuellen Krisen stellen zweifellos eine Bewährungsprobe dar."
Besorgniserregend: die Zahl derer, die in einem Camp unterkommen
Die meisten Asylanträge wurden, wie in den vergangenen vier Jahren auch, inSüdafrika gestellt. Die meisten Flüchtlinge weltweit kommen jedoch weiterhin ausAfghanistan (2,7 Millionen Menschen), aus dem Irak (1,4 Millionen Flüchtlinge), aus Somalia (1,1 Millionen Flüchtlinge) und aus der Demokratischen Republik Kongo(491.000 Flüchtlinge).
So auch Robert. Als er aus dem Kongo flüchten musste und in Frankfurt am Main landete, sagte man ihm, er solle mit dem Zug nach Nürnberg fahren, dort werde man sich um ihn kümmern. Doch Robert hatte in seinem Leben noch nie einen Zug gesehen, hilflos und ratlos stand er auf der Straße und wusste nicht wohin.
Ein Deutscher habe ihn angesprochen, erinnert sich Robert in dem UNHCR-Film. Der Mann habe ihn zum Hauptbahnhof begleitet, alles für ihn organisiert. Seit Jahren lebt der Afrikaner nun in Nürnberg, hat mit Deutschen einen Verein gegründet, der Menschen wie ihm das Einleben in die deutsche Gesellschaft erleichtern soll. Anfangs sei es ein Kulturschock gewesen, in Deutschland gelandet zu sein, sagt Robert und lächelt, aber er habe gewusst, wenn er die Sprache erlerne, könne er die Chance auf ein neues, besseres Leben nutzen.
Weltweit waren laut UNHCR im vergangenen Jahr insgesamt 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht: 15,42 Millionen Flüchtlinge, 26,4 Millionen Binnenvertriebene und 895.000 Asylsuchende. Trotz der deutlich gewachsenen Zahl von Flüchtlingen ist die Gesamtzahl weltweit niedriger als 2010 mit rund 43,7 Millionen Menschen auf der Flucht. Dies sei darauf zurückzuführen, dass im vergangenen Jahr die seit zehn Jahren größte Anzahl an Binnenvertriebenen - nämlich 3,2 Millionen Menschen - habe nach Hause zurückkehren können.
Besorgniserregend ist laut Jahresbericht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen viele Jahre als Flüchtlinge in einem Camp oder unter schwierigen Lebensbedingungen in Städten ausharren müssen, sehr groß geworden ist. So warten 7,1 Millionen der 10,4 Millionen Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat seit mindestens fünf Jahren darauf, dass für ihre Zukunft eine langfristige Lösung gefunden wird.
Rund vier Fünftel aller Flüchtlinge bleiben in ihren Nachbarländern. So leben beispielsweise in Pakistan 1,7 Millionen Flüchtlinge, inIran 886.500, in Kenia 566.500 und im Tschad 366.500.
Von den 42,5 Millionen Menschen, die Ende 2011 von Flucht und Vertreibung betroffen waren, fallen nicht alle unter das Mandat des Uno-Flüchtlingskommissariats. Rund 4,8 Millionen Menschen sind bei UNRWA, der Uno-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge, registriert. Von den 26,4 Millionen Binnenvertriebenen unterstützt UNHCR rund 15,5 Millionen Menschen.