«Unglaubliches Gemisch von Nöten und Gefühlen»


Die Situation von unbegleiteten und minderjährigen Asylsuchenden ist laut Flüchtlingshilfe schwierig. Dies unterstreicht auch die Auseinandersetzung im Durchgangszentrum Bäregg.

Nach der Auseinandersetzung im Durchgangszentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende Bäregg im Emmental konnte einer der zwei Verletzten das Spital wieder verlassen. Dies teilte die Polizei gestern mit. Der Streit entzündete sich an der Benutzung der Waschmaschine. Angefangen habe der Konflikt zwischen vier Männern. Danach kamen weitere dazu. Insgesamt dürften rund zehn Personen an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen sein. Der Streit konnte mithilfe des Personals geschlichtet werden. Drei Personen mussten nach der Schlägerei medizinisch betreut werden, zwei Männer wurden hospitalisiert. Nach dem Streit verhaftete die Polizei acht Personen.
Wegen der Ermittlungen wollten gestern weder die Heilsarmee, die das Durchgangszentrum Bäregg leitet, noch der Kanton zum Vorfall Stellung nehmen. Beat Meiner, Generalsekretär der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, will den Vorfall keinesfalls verharmlosen, gibt aber zu bedenken, dass junge Männer nicht nur in Asylunterkünften, sondern ganz generell zu der auffälligsten Gruppe in der Gesellschaft gehörten.
Besonderer Schutz nötig
Trotzdem wirft der Vorfall Fragen auf: Werden unbegleitete, minderjährige Asylsuchende ausreichend betreut? Und was sind die Hauptproblematiken im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen, die ohne Begleitung ihrer Eltern in der Schweiz ein Asylgesuch einreichen?
Die Situation für asylsuchende Kinder und Jugendliche ohne Eltern sei sehr schwierig, sagt Meiner. «Die meisten von ihnen haben eine Flucht mit traumatisierenden Erlebnissen hinter sich.» Dazu komme der Zusammenprall der Kulturen: Die jungen Asylsuchenden treffen in der Schweiz auf eine liberale Gesellschaft, in der man grenzenlos konsumieren und auch Erlebnisse mit dem anderen Geschlecht ausleben könne.
Doch asylsuchende Jugendliche haben laut Meiner gar nicht die Mittel, an der Konsumgesellschaft teilzuhaben. «Sie fühlen sich ausgeschlossen und diskriminiert, was zu zusätzlichen Spannungen führt», sagt er. Weiter könne allein schon das Zusammentreffen der verschiedenen Kulturen in den Asylstrukturen selbst zu Spannungen führen. Als «unglaubliches Gemisch von Nöten und Gefühlen» beschreibt Meiner die Situation der minderjährigen Asylsuchenden. Angesichts dieser Extremsituation sei es sogar erstaunlich, dass nicht mehr passiere.
Die verletzlichste Kategorie aller Asylbewerber
Es sind jährlich zwischen 300 und 450 Minderjährige, die ohne Begleitung ihrer Eltern ein Asylgesuch in der Schweiz stellen – drei Viertel davon sind männlich. Laut Bundesamt für Migration bilden die unbegleiteten Minderjährigen die verletzlichste Kategorie aller Asylbewerber. Deshalb gibt es für sie besondere Massnahmen hinsichtlich ihres Schutzes. So müssen sie gemäss Kinderrechtskonvention und Schweizerischem Zivilgesetzbuch einen Vormund oder Beistand erhalten, der ihre Interessen vertritt und für ihren Schutz einsteht. Doch Meiner sagt, dass asylsuchende Minderjährige nicht in der ganzen Schweiz den nötigen Schutz erhalten würden. So seien sie in einigen Kantonen mit Erwachsenen in Kollektivzentren untergebracht. «Sie sollten aber in geeigneten Institutionen mit einer guten Betreuung untergebracht werden», fordert er.
Es fehlt oft an Tagesstruktur
So eine Institution ist das Zentrum Bäregg. Dort werden durchschnittlich vierzig 14- bis 17-jährige Asylsuchende aufgenommen. Laut Markus Aeschlimann, Leiter des Amtes für Migration und Personenstand, erhalten diese bis zu ihrer Volljährigkeit eine adäquate Betreuung und Förderung. «Die Jugendlichen haben einen Beistand von der Bernischen Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not und sind auch der ansässigen Vormundschaftsbehörde gemeldet», fügt er an.
Meiner dagegen sagt, dass trotz gesetzlichem Auftrag oft keine vormundschaftlichen Massnahmen angeordnet würden. Die als Beistände eingesetzten Personen seien häufig nicht genügend mit dem Asylrecht vertraut, um ihre Schützlinge besonders in Rechtsfragen ausreichend unterstützen zu können. Hinzu komme die oft mangelnde Tagesstruktur – gerade für Kinder und Jugendliche sei diese wichtig, sagt Meiner. Obwohl die Bundesverfassung das Recht auf Schulunterricht vorsehe, würden asylsuchende Kinder manchmal gar nicht oder nur mit Verspätung eingeschult, sagt er. Noch schwieriger sei die Situation nach der obligatorischen Schulzeit. Asylsuchende hätten allzu oft keine Möglichkeit, eine Lehre zu machen. Meiner: «Mit gravierenden Folgen für den weiteren Lebenslauf der Betroffenen.»
derbund.ch
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