Alleine auf der Flucht


Sie sind das menschliche Strandgut der Konflikte im Nahen Osten: Kinder und Jugendliche, die von ihren Eltern von Syrien, Afghanistan oder dem Irak aus allein auf die Reise nach Europa geschickt werden, in der Hoffnung, dass sie hier ein besseres Leben finden. Fahnder von Landes- und Bundespolizei greifen immer wieder Minderjährige unter 16 Jahren auf, die allein unterwegs sind. Die Zahlen steigen.

Rosenheim/Landkreis - Am 15. Februar war es wieder einmal so weit: Fahnder der Bundespolizei griffen nahe der Grenze zu Österreich zwei Gruppen von Afghanen auf, die versuchten, ohne gültige Papier nach Deutschland einzureisen. Unter den neun Personen befanden sich auch ein 13- und ein 15-Jähriger, die ihre Reise ohne Eltern machten.
"Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge", so heißen diese Kinder und Jugendlichen im Amtsdeutsch. Bis 2008 wurden in der Region Rosenheim jährlich zwischen fünf und zehn solcher jungen Flüchtlinge festgestellt. Die Zahlen steigen seit 2009 deutlich an. 2010 waren es schon 29 und im vergangenen Jahr 31 - so viele wie nie zuvor. Die Kinder und Jugendlichen stammen vorwiegend aus dem arabischen Raum, vor allem aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und dem Iran.
Hinter diesen Zahlen stecken menschliche Schicksale. 10 000 bis 15 000 Euro verlangen Schleuser für den illegalen Transport einer Person. Die Familien in den Ursprungsländern müssen sich meist hoch verschulden, um wenigstens ein Kind auf die Reise ins Ungewisse schicken zu können - in der Hoffnung auf ein bessere Zukunft anderswo.
Rosenheim ist auf den Schleuserrouten aufgrund seiner geografischen Lage ein Schlüsselpunkt auf dem Weg von Süden nach Mitteleuropa. Und so stoßen die Fahnder der Polizei auch immer wieder auf Minderjährige, die allein unterwegs sind.
Die Polizei bringt die Kinder zunächst auf die Dienststelle, wo ein Dolmetscher hinzugezogen wird. Bei der Bundespolizei Rosenheim hat man sich auf die jungen Flüchtlinge bereits eingestellt: "Wir haben mittlerweile Ersatzkleidung, weil viele nur mangelhaft bekleidet sind", erklärt eine Sprecherin. Auch Baby- und Kindernahrung wird auf der Dienststelle bereitgehalten und eine Spielecke wurde eingerichtet. Müde und erschöpft seien die Kinder meist, so die Sprecherin. Was sie auf ihrer Reise erlebt haben, darüber lässt sich nur spekulieren.
Der Allgemeine Sozialdienst kümmert sich um die Unterbringung. Abends und in der Nacht werden die Minderjährigen von den Beamten ins Caritas Kinderdorf Irschenberg gebracht. Um eine bedarfsgerechte Hilfe organisieren zu können, wer-den mehrere Gespräche mit dem Kind geführt. Dabei ist jedes Mal ein Dolmetscher dabei. Am Ende stehe ein Hilfeplan, der sich am "festgestellten erzieherischen, schulischen und therapeutischen Bedarf" orientiere, so das Landratsamt.
Auch ist es notwendig, beim Familiengericht einen Vormund zu bestellen. Dieser kümmert sich unter anderem um Behördengänge, stellt sprachliche Unterstützung oder gesundheitliche Versorgung sicher und versucht, Familienangehörige zu finden.
Die deutliche Zunahme bei den Aufgriffen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge war nun auch Thema im Jugendhilfeausschuss des Landkreises. Da die Unterbringungskapazitäten nicht mehr ausreichen, beschloss der Ausschuss, die freien Träger der Jugendhilfe - konkret das Caritas Kinderdorf Irschenberg, das Diakonische Werk Rosenheim und Startklar Schätzel, die sich bei den Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bisher schon engagieren - zu bitten, ein Angebot für eine Clearings-Stelle zu erstellen. Mit dieser Lösung für neun bis zwölf Personen soll die Fürsorge der Kinder und Jugendlichen verbessert werden. Nach ihren Erfahrungen durch die Reise bräuchten sie Betreuung, so Landrat Josef Neiderhell. Er geht davon aus, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge keine Erscheinung für einen beschränkten Zeitraum sind. "Diese Aufgabe bleibt uns", meinte er.
Im vergangenen Jahr gab der Landkreis Rosenheim, über die Jugendhilfe 1,2 Millionen Euro für die Betreuung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus. Während die Kosten für die Unterbringung und die ärztliche Versorgung komplett vom Bund erstattet werden, muss der Landkreis alle darüber hinaus anfallenden Kosten übernehmen. re/ku
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