Unbegleitete Flüchtlinge: Kinder allein in Bremen


Drei junge Männer. [Quelle: Radio Bremen]
Im Jahr 2000 erklärten die Vereinten Nationen den 18. Dezember zum "Internationalen Tag der Migranten". Und von denen gibt es so viele, wie nie zuvor: Nach Schätzungen sind es fast 200 Millionen Menschen weltweit. Darunter sind immer mehr Kinder, die von ihren Eltern aus Kriegs- oder Notgebieten weggeschickt werden, in der Regel an der Seite professioneller Schlepper.

Jugendlichen Flüchtlinge
Sie haben eine wochen- oder gar jahrelange Flucht hinter sich. Manche wurden gefoltert oder verletzt. Traumatisiert sind sie eigentlich alle. Und jung, teilweise sehr jung. Im Behördenjargon heißen sie "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge". Wenn sie nach Bremen kommen, sind sie nicht automatisch gerettet: Betreuer und Psychologen in der Stadt klagen darüber, dass teilweise nicht einmal die Regeln des Kinder- und Jugendhilfe-Gesetzes beachtet werden.

Folterspuren und Schussverletzungen

Ein Kind auf einem Trümmerberg in Syrien [Quelle: DAPD]
Quelle: DAPD
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Viele Kinder erleiden während ihrer Flucht Folter und Gewalt.
Michael Kuse leitet die Kinder- und Jugendfarm der Hans-Wendt-Stiftung in Bremen-Borgfeld. Auch dort sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Er hat schon vieles gesehen, was einen entfernten Eindruck davon vermittelt, was die Jugendlichen hinter sich haben: "Wenn Sie Folterspuren entdecken, kann man sich leicht vorstellen, dass das nicht spurlos an einem jungen Menschen vorüber geht", sagt er. Schussverletzungen und nicht verheilte Knochenbrüche hat er bei den jungen Männern festgestellt. "Das ist nicht irgendetwas. Und es gibt in Bremen kaum angemessene Hilfe dafür", eiß er zu berichten.

Flüchtlings-Kommissariat übt Kritik an Situation in Bremen

Schon das Flüchtlings-Kommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hat gemeinsam mit dem "Bundesverband Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" (B-UMF) einen Blick nach Bremen geworfen. 2011 hat es untersucht, wie Bremen es mit der Betreuung dieser jungen Menschen hält. Es gab einige Kritikpunkte.

Erwachsen oder nicht: Flunkern für bessere Unterbringung

Einer davon betrifft das Verfahren, mit dem das Alter der Flüchtlinge ohne Pass geschätzt wird. Ob jemand volljährig ist, oder nicht, entscheidet über die Qualität der Unterbringung, den Schutz vor Abschiebung und Inhaftierung. Das alles ist bei Erwachsenen schlechter – was natürlich dazu führt, dass junge Erwachsene ihr Alter gerne etwas herabsetzen, um noch als Jugendlicher zu gelten.
Die Ermittlung des Alters schilderte die zuständige Senatorin Anja Stahmann (Die Grünen kürzlich in der Bremischen Bürgerschaft folgendermaßen:
"Die Alterseinschätzung erfolgt durch eine kundige Verwaltungsfachkraft, die das schon seit Jahren macht."
Kuse kommentiert: "Ja. Qualifiziert für ihre Verwaltung. Aber definitiv nicht qualifiziert zur Altersfeststellung."

UNHCR kritisiert Bremer Praxis

Und auch das UN-Flüchtlingskommissariat kommt nach seinem Besuch in Bremen zu der Forderung: "Die Altersfestsetzung sollte durch mindestens zwei pädagogisch oder psychologisch geschulte Personen durchgeführt werden. Die Altersfestsetzung sollte neben dem äußerlichen Eindruck immer ein ausführliches Gespräch mit professionellem Dolmetscher beinhalten, bei dem sowohl die Biographie des Jugendlichen erfragt, als auch die psychische Reife und der erzieherische Bedarf erfasst werden sollte."

Refugio spricht von unwürdigem Verfahren

Logo "Refugio Bremen" [Quelle: Refugio Bremen]
Quelle: Refugio Bremen
"Refugio Bremen" kümmert sich seit 25 Jahren um Flüchtlinge
Miša Obršal-Ihssen arbeitet als Kinder- und Jugendtherapeutin bei der Flüchtlings-Hilfeeinrichtung "Refugio" in Bremen. Sie hat ständig mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu tun und hält das aktuelle Verfahren für unwürdig und ein schlechtes Signal an die Jugendlichen: "Das führt am Ende nur dazu, dass vieles im Verborgenen bleiben muss", urteilt sie.

"Clearing" ist das A und O

Das muss so nicht sein, wie andere Städte vormachen. In Frankfurt am Main beispielsweise nehmen sich die Behörden für das sogenannte "Clearing", wenn erforderlich, mehrere Wochen Zeit, sagt Miša Obršal-Ihssen. Denn diese Phase ist für die Betreuung und Zukunft der Jugendlichen zentral, betont die Therapeutin.
Im "Clearing-Verfahren" sollen sich die Behörden ein umfassendes Bild von dem Jugendlichen, seinen Fluchtgründen und seiner Fluchtgeschichte machen, seinen gesundheitlichen Zustand feststellen, seinen Bildungsstand, seinen Integrationsbedarf und vieles mehr ermitteln. In Bremen gibt es diese Clearing-Phase nicht.
Das lässt das Sozialressort nicht auf sich sitzen. Ein Sprecher ist sogar halbwegs irritiert über die Kritik – so säßen beispielsweise die Träger der Wohneinrichtungen und Refugio gemeinsam mit dem Jugendamt regelmäßig zusammen, um über dieses Thema zu sprechen. Da sei nie Kritik laut geworden. Zwar gebe es in Bremen keine ausgewiesene Clearing-Stelle, die sich nur um dieses Thema kümmert.
Doch gebe es in jedem Einzelfall ein Clearing-Verfahren, das der zuständige Sachbearbeiter im Jugendamt gemeinsam mit dem Träger der Einrichtung, in der der Jugendliche untergebracht wird, vornimmt.

Bremerhaven zeigt: Am fehlenden Geld liegt es nicht

Bremerhaven beweist, dass es auch anders geht, sagt Brigitte Böning-Konz von "Fluchtraum Bremen e.V.": Obwohl dort nur ein Fünftel aller ins Land Bremen einreisenden unbegleiteten Jugendlichen lande und es auch hier kein regelrechtes Clearing-Verfahren gebe, habe es die ortsansässige Jugendhilfeeinrichtung für minderjährige Flüchtlinge geschafft, Sozialpädagogen, Pädagogen, Psychologen und alle anderen für die jungen Flüchtlinge zuständigen und damit verantwortlichen Personen um einen Tisch zu versammeln – mit großem Erfolg.
Schüler und Lehrer in einem Klassenraum [Quelle: Radio Bremen]zoom
Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist unerlässlich.
So fielen die in Bremerhaven untergebrachten unbegleiteten Minderjährigen weder durch Drogendelikte noch durch sonstige Straftaten auf. Nach Ansicht von Fluchtraum Bremen ist diese Zusammenarbeit von Akteuren unerlässlich –  beispielsweise der Austausch zwischen Jugendhilfeeinrichtung und Schule, damit auch diese im Falle einer Krise des jungen Flüchtlings entsprechend reagieren könne.


radiobremen.de
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